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18 AGENDA
woxx  |  24 04 2015  |  Nr 1316
FILMKRITIK
SAUL DIBB
Das Lied vom guten Nazi
Anina Valle Thiele
Die Verfilmung von Irène Némirovskys Romanfragment „Suite française“ ist kein großer Wurf - trotz der literarisch wertvollen Vorlage und der starken Darstellung eines untypischen Nazi-Offiziers durch Matthias Schoenaerts.
Kaum ist der Hype um Irène Némi- rovsky, von der in den vergangenen  Jahren immer neue Bücher hervor- gezaubert wurden - die ähnlich wie  ihr nur zu zwei Dritteln vollendeter  Roman nach 60 Jahren in einem Koffer  versteckt - von ihrer Tochter wieder- entdeckt wurden, vorbei, da beginnt  der Hype um die Romanverfilmung  von „Suite française“. Allerdings  dürfte er schnell wieder abklingen.  Denn die Rechte an dem Buch hat  sich eine Filmgesellschaft gekauft,  die mit diesem Stoff im eigentlichen  Sinn wenig anfangen konnte. Nicht,  dass die Weinstein Company nicht  großartige Filme produziert, u.a. die  Tarantino-Filme „Inglourious Basterds“  und „Django Unchained“. Doch diese  „Suite française“ unter der Regie von  Saul Dibb ist unglaubhaft, verkitscht  und bedient mehr als nur ein Klischee.  Gedreht wurde zwar überwiegend  in der pittoresken 500-Einwohner  Ortschaft Marville, in der Lorraine (De- partement: Meuse), die die Ortschaft  Bussy nachstellen soll. Allerdings  sprechen die Figuren Englisch, keiner  der Filmschauspieler spricht je Franzö-
sisch, und Deutsch ist mal wieder nur  dann zu hören, wenn Nazi-Offiziere  ihre Befehle bellen. Dies und das Bild  der Französinnen macht das Ganze  letztlich zur Folklore.
Schade auch deshalb, weil die Ro- manvorlage, und auch das Leben der  Autorin selbst, durchaus mehr herge- geben hätte. Némirovsky, 1903 in Kiew  als Tochter eines Bankiers geboren,  wuchs in wohlhabenden Verhältnis- sen im 16. Pariser Arrondissement auf  und entwickelte trotz ihrer jüdischen  Herkunft nie wirklich eine Beziehung  zum Judentum. Sie lebte als Staatenlo- se in Frankreich, und obwohl sie sich  mit der Grande Nation identifizierte,  halfen auch die guten Beziehungen  zu höheren Kreisen und zur Rechten  ihr am Ende nicht: Sie wurde von  den Behörden ihrer Wahlheimat ans  Messer geliefert und im Juli 1942 nach  Auschwitz-Birkenau deportiert. Ein- drucksvoll, nüchtern und doch auch  ein wenig naiv schildert sie in ihren  Romanen den in Frankreich aufkei- menden Antisemitismus. „Der Ball“  (1930) zeigt den Machtkampf zwischen  böser (Schwieger-)Mutter und Tochter -  eine Konstellation, die sich wie ein  roter Faden durch alle ihre Romane  zieht.
„Suite française“ setzt im Frühjahr  1940 ein, als deutsche Truppen Paris  bombardieren und besetzen. Der 
Film beginnt mit schwarz-weißen  Dokumentaraufnahmen, um dann in  verblassten Farben in die Ortschaft  Bussy zu wechseln, die von Nazis be- setzt wird. Lucille Angellier (Michelle  Williams) bewohnt mit ihrer Schwie- germutter (Kristin Scott Thomas) das  schönste Haus im Ort, und hier ist  der Offizier Bruno von Falk (Matthias  Schoenaerts) einquartiert worden.  Zwischen Bruno und Lucille entsteht  schnell eine Anziehung, denn der  feinfühlige, musikliebende Deutsche  entspricht so gar nicht dem Klischee  des bösartigen, kaltherzigen Nazi-Offi- ziers. Der Belgier Matthias Schoenaerts  („Bullhead“) weiß diesen Typus wun- derbar zu verkörpern und vermag es  tatsächlich zwischen Grausamkeit und  Sanftheit zu changieren. Bewegt von  Falk sich unter seinen Soldaten und  gibt Befehle, wirkt er wie aufgezogen,  sitzt er abends am Klavier und spielt  die von ihm komponierte „Suite fran- çaise“, so erscheint er harmlos und  verträumt wie ein kleiner Junge. Dem  kann Lucille nicht widerstehen, und  so kommt es zur „amour fou“. Doch  erinnern die Szenen, in denen sich  die beiden näherkommen, leider zu  stark an „Vom Winde verweht“. Und  auch die Szenen mit den deutschen  Soldaten, von denen etwa einer eine  Französin mit einem Nietzsche-Zitat  belehrt, dass der Mann dazu geboren  ist, ein Kämpfer zu sein, wirken, aus  dem Kontext gerissen, vollkommen de-
plaziert. Dabei sind gerade Némirows- kys Beschreibungen stark; manche  Textpassagen sprechen für sich, und es  hätte sich gelohnt, sie originalgetreu  zu übernehmen. Dafür kann auch die  Detailversessenheit des Films bei den  Kostümen - wie etwa Hosenträger mit  SS-Emblem - nicht entschädigen, sie  wirkt nur grotesk. 
Némirovskys literarische Absicht, die  deutschen Soldaten eben nicht als  ausnahmslos NS-verblendete Automa- ten zu zeigen, geht in der Verfilmung  auf und verleiht dem Film Spannung.  Die Kategorien „gut“ und „böse“  verschwimmen. Auch die Züge von  Habgier, Neid und Opportunismus, die  unter dem Druck der Besatzung bei  den Franzosen zutage treten, und die  im Ort herrschende Kleingeistigkeit  werden im Film einigermaßen wieder- gegeben - wie auch die „collaboration  horizontale“, also die Tatsache, dass  einige französische Frauen mit den  deutschen Besatzern sexuelle Verhält- nisse eingingen. Dass das Verhältnis  zwischen Lucille und Bruno körperlich  und nicht rein platonisch war, ist im  Roman lediglich angedeutet und der  Fantasie überlassen - im Film wird die  Beziehung hingegen als stereotypes,  leidenschaftliches Liebesverhältnis  dargestellt und restlos verkitscht. 
Im Utopolis Kirchberg
„Vom Winde verweht“  reloaded? Soll  französisch wirken,   ist aber nicht mehr als  gnadenloser Kitsch ...


































































































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